Verglichen mit heute war Autofahren in den siebziger Jahren eine Risikosportart für Hasardeure. Airbag? ESP? ABS? Fehlanzeige! Der Bremsweg eines VW Käfer von 100 km/h auf null betrug fast 60 Meter. Da blieb viel Zeit, sich über die Folgen eines drohenden Aufpralls Gedanken zu machen. Heute kommen selbst über zwei Tonnen schwere Luxuslimousinen schon nach 35 m zum Stehen. 25 m weniger, das sind zwei LKW-Längen. Ein Grund für die verkürzten Bremswege sind Bremsscheiben wie die der Alber Gussbearbeitungs-GmbH in Meßkirch. Ein Unternehmensteil des mittelständischen Drehereibetriebs hat sich auf die Fertigung der Präzisionskomponenten für die PKW-Oberklasse spezialisiert. Automobilhersteller geben sich heute jedoch nicht mehr nur mit bester Qualität zufrieden. So viele Bauteile wie möglich sollen rückverfolgbar sein. Damit dies 100 Prozent zuverlässig und lückenlos erfolgen kann, setzt Alber seit kurzem auf modernste Bildverarbeitungstechnologie. Zwei intelligente Vision-Systeme von Cognex, die In-Sight® 7050 und In-Sight 5604, lesen Echtschrift-Codes auf rotierenden Bremsscheiben. Dies erhöht nicht nur die Prozesssicherheit, es entlastet auch die Mitarbeiter – und das im wahrsten Sinn des Wortes.
Schwere Zeiten
Bremsscheiben für die Automobiloberklasse wiegen zwischen 12 und 20 kg. Früher musste ein Mitarbeiter die schweren Scheiben manuell aus einer Gitterbox heben und an den wechselnden Bearbeitungsstation immer wieder aufnehmen und ablegen. Da stellte sich für manchen Mitarbeiter die Frage: „Bremsscheibe oder Bandscheibe?“. Heute fragt sich dies niemand mehr. Denn seit Anfang 2013 arbeitet der dem Dreh- und Fräsvorgang nachgelagerte Feinbearbeitungs- und Prüfbereich vollautomatisiert. Dafür hat der Automatisierungsspezialist CNC Automation Würfel GmbH in Zusammenarbeit mit den Bildverarbeitungsexperten der i-mation GmbH einem Yaskawa Motoman Roboter MH50-35 das Sehen beigebracht.
Scharfes Auge
In exponierter Stellung, direkt am Kopf des Greifers, wurde ein In-Sight 7050 Vision-System von Cognex installiert. Mit ihrem Autofokus, einer raschen Bildaufnahme und eigener Beleuchtung erkennt die vollintegrierte Smart-Kamera die Lage der auf einem Transportband angelieferten Bremsscheiben. Dabei orientiert sie sich einfach an deren Innendurchmesser. In Sekundenbruchteilen an die Robotersteuerung übermittelt, ermöglichen die Bilddaten ein schnelles Greifen der Scheiben mittels Hochleistungsmagneten.
Nach dem Aufnehmen folgt der erste Arbeitsschritt: das Lesen von Klarschriftzeichen (OCR). Hierfür legt der Roboter die Bremsscheibe auf einem Drehteller ab. Mit roter LED-Beleuchtung ins rechte Licht gerückt und gut kontrastiert, sind die Schriftzeichen bereit für den Einsatz des zweiten Vision-Systems. Die Zeilenkamera In-Sight 5604 mit 1K-Hochgeschwindigkeits-Zeilenabtastung erfasst die gepixelte Prägeschrift während zweier Umdrehungen der Bremsscheibe.
Das zuverlässige Lesen der Schriftzeichen war eine der anspruchsvolleren Aufgaben für die i-mation Bildverarbeitungsexperten. Genauer gesagt, das Lesen unterschiedlich geprägter Zeichensätze. Denn von Produktcharge zu Produktcharge kann die Art der Prägung sich verändern. Gelöst wurde die Aufgabenstellung durch schrittweises Einlernen aller möglichen Varianten. Erleichtert haben dies die leistungsstarken Bildverarbeitungstools für OCR-Anwendungen der Cognex-Vision-Tools mit benutzerfreundlicher In-Sight Explorer Software.
Genaue Lage
Auf die Klarschriftlesung folgen die eigentlichen Feinbearbeitungs- und Prüfschritte zu denen unter anderem das Auswuchten und die Klangprüfung zählen. Abschließend legt der Roboter die Bremsscheiben in Lagen zu je sechs Stück in eine Gitterbox ab und bedeckt sie nach einem automatischen Greiferwechsel mit einer stabilen Holzplatte. Deren genaue Position erkennt das „In-Sight-Auge“ des Roboters anhand eines einfachen schwarzen Markierungskreuzes.
Sichere Zukunft
Für die Alber Gussbearbeitungs-GmbH sind sowohl das vollautomatische Handlingsystem zur Bremsscheiben-Feinbearbeitung und -Prüfung als auch die beiden Vision-Systeme von Cognex die ersten ihrer Art. Doch für Roland Schuler, Produktionsleiter der Firma Alber, steht jetzt schon fest: „Der Bildverarbeitung gehört auch in Drehereibetrieben die Zukunft.“ Hierfür ist neben den sich mit den technischen Möglichkeiten schnell und branchenübergreifend verbreitenden Track-and-Trace Lösungen auch die Entwicklung der Codierung selbst verantwortlich. So werden immer mehr Echtschriften und Barcodes durch zweidimensionale DataMatrix-Codes ersetzt. Sie brauchen weniger Raum und sind fehlertoleranter. Solch ein Wechsel steht auch bei Alber schon unmittelbar bevor.
Mit intelligenten Vision-Systemen wie die der Cognex In-Sight Serie lassen sich DataMatrix-Codes selbst in anspruchsvollen Arbeitsumgebungen bei ungünstigen Lichtverhältnissen und dem Auftreten von Verschmutzungen lesen. So können Hersteller von hochwertigen Bremsscheiben und Hersteller anspruchsvoller Automobile in Zukunft Produktlebensläufe zur möglichen Rückverfolgbarkeit noch einfacher erstellen und abrufen. Ein kleiner, aber nichtsdestoweniger wichtiger Schritt für noch mehr mobile Sicherheit.